Harald Huss
en voyage – watercolours
Einführungsrede von Michael Gompf zur Vernissage:
Auch wenn behauptet wird, dass J. W. Goethe lange keine Brille tragen musste, da er an einer angeborenen Anisometropie „gelitten habe“ – dass also ein Auge kurz-, das andere weitsichtig war, so bleibt doch seine Skepsis gegen den vermeintlichen Gewinn durch Scharfsichtigkeit bemerkenswert. Er zweifelte am Erkenntnisgewinn durch optisch erzielte Detailkenntnis und meinte, dadurch würde das Wesen der Dinge gerade verfehlt.
Goethe erlebte den Wandel im Selbstverständnis der Kunst durch die Fotografie nicht mehr, formulierte aber mit diesem Zweifel die Frage nach dem Wesen der Malerei.
Der Maler William Turner war noch Zeitzeuge der Anfänge der Fotografie, hatte aber schon im frühen 19. Jahrhundert eine Entwicklung hin zu einer fast ungegenständlichen leuchtend farbigen Malerei genommen. Seine Zeitgenossen verstanden diese Abkehr von einer beeindruckenden Fähigkeit zur realistischen Darstellung, die ihn jung berühmt gemacht hatte, nicht. Turner beschreibt wiederholt seine Eindrücke auf seinen zahlreichen Reisen durch Europa, und hier insbesondere auch das Zusammenspiel von Landschaft, Licht und Luft.
Ganz für sich wollte er malerisch das Wesen dieses Zusammenspiels ergründen und wird dafür heute als einer der Väter der modernen Malerei angesehen.
Die Infragestellungen der Malerei durch die Photographie führte dann in der Folge dazu, das Augenmerk von der Abbildung abzuwenden und der spezifischen Sensualität des Sehens, des Wahrnehmungsprozesses zuzuwenden. Der Künstler kann das nur mit seinen Mitteln, dem Malen. Alle Mittel der Malerei, der Kunst, werden dann in der Entwicklung der Moderne bis zu den Extremen ausgereizt. Sehr schnell entstehen vollkommen ungegenständliche Bilder und fast wissenschaftliche Untersuchungen zu Farbharmonien (Josef Albers).
Wenn wir vor diesem Horizont jetzt die hier gezeigten Aquarelle von Harald Huss betrachten, dann werden die Anknüpfungspunkte zu den vorgenannten Aspekten deutlich.
Wie aus dem Titel der Ausstellung ersichtlich, entstanden sämtliche Aquarelle auf Reisen, vornehmlich nach Südfrankreich. Die Orte ihrer Entstehung sind zugleich ihre Titel.
Ein Jeder, der schon einmal mit Aquarellfarben gearbeitet hat, weiß um zwei Dinge: Sie decken nicht, da sie kaum Farbkörper haben, und sie zeigen die Bewegung des Pinsels unerbittlich. Jedes Zögern hinterlässt sofort an dieser Stelle mehr Pigment, jeder ungleiche Auftrag bleibt dadurch sichtbar.
Harald Huss arbeitet meist unmittelbar nach seinen Ausflügen am Tag in einem improvisierten Atelier vor Ort. Es besteht aus einem vorgefundenen Tisch und unzähligen Gefäßen, in denen die Aquarellfarbe satt zur Verfügung steht.
Wenn sie jetzt genau hinsehen, dann können sie erkennen, wie der Pinsel geführt wurde. Die entstehenden Farbklänge, inspiriert durch Landschaft, Licht und Luft der Gegend, müssen in ihm vorher anklingen. Der Malakt selber verzeiht kein Zögern oder Zaudern, nur der sichere Pinselzug mit der richtigen Farbmenge erzeugt den so leicht daherkommenden Farbklang, der das Wesen der Landschaft, des Augenblicks einfängt.
Ganz wesentlich dabei ist das hochwertige Material, dessen Wirkung Harald Huss in hunderten von Bildern verinnerlicht hat. Immer wieder geht er auch vor Ort auf die Suche nach ausgesuchten Papieren oder Malmaterialen, seien es Pinsel oder Pigmente. Seine zum Teil wochenlangen Aufenthalte in südlicher Atmosphäre lassen ihn zuweilen beladener nach Hause kehren, als er gestartet war. Im Gepäck unzählige Bilder und kleine Schätze aus kleinen Manufakturen für den Künstlerbedarf.
Ich lade sie ein, den Spuren der Landschaften, ihrem in den Bildern von Harald Huss eingefangenen Wesen nachzuspüren und in ihre Leuchtkraft einzutauchen.